Wenn ich manchmal mein Facebook öffne, springen mir Beiträge
entgegen, die ich inzwischen Besser-Menschen Beiträge nenne. Beiträge, die davon
berichten, dass Fleisch essen, eine ganz üble Angewohntheit ist und man es
besser ganz lassen sollte. Dass man Firmen boykottieren sollte, die Leiharbeiter
beschäftigen und und und.
Was einem widerfährt der ein leckeres Steak auf seine
Pinnwand setzt, nennt man neudeutsch wohl: „Shitstorm“. Nicht zu vergessen, der
Pferdefleischskandal oder ganz aktuell: böses Amazon mit seinen Leiharbeitern.
Da schreiben Menschen, dass sie ja nun ab sofort auf keinen
Fall mehr was bei Amazon bestellen wollen und alle Firmen verurteilen de
Leiharbeiter beschäftigen.
Ich finde solche Beiträge schlicht bescheuert.
Aufmerksammachen auf Themen ist gut aber offensichtlich dienen solche Beiträge
nur dem Aufmerksammachen auf den Bessermensch. Warum sonst behaupten sie vollmundig, das SIE ja politsch korrekt, nichts bei Amazon usw. kaufen.
Natürlich mache ich mir Gedanken, wie viel Fleisch ich
konsumiere und ich achte auf Qualität. Natürlich finde ich die Ausbeutung der
Leiharbeiter furchtbar, aber muss ich auf meine Pinnwand schreiben: ICH
unterstütze dies und das nicht, indem ICH ja so ein Gutmensch bin … und immer
politisch korrekt lebe … bla, bla, bla und sorry aber das ist: BULLSHIT.
Reines Bessermenschgetue. Ich empfinde das als scheußliche
Penetration meiner Nerven.
Denn wenn wir ehrlich sind: Müssten wir dann nicht alle im
Wald leben und frisch gepflückte Beeren konsumieren?
Denn, Leben ist heutzutage sehr gefährlich und politisch
inzwischen sehr unkorrekt und überhaupt lauert an jeder Ecke eine Falle.
Morgens ist die Welt des Bessermensch noch in Ordnung, naja
halbwegs, immerhin hat er sich entweder von seinem Radiowecker wecken lassen, dass
bedeutet, er hat die ganze Nacht im Elektrosmog gepennt oder vom IPhone oder
Smartphone.
Tja, schon hat der
richtigere Mensch was falsch gemacht - Leiharbeiter und Ausbeutung bei Apple
und fast allen anderen Handyfirmen.
Frühstück mit Kaffee? Bedenkliche Sache, es sei denn, man
greift auf fairgehandelten Biokaffee zurück. Leider gab es da doch letztens
auch solche Meldungen, das fair gehandelt mal wieder nur was für die Verpackung
ist. Naja, fürs gute Gewissen ...
Mit dem Auto zur Arbeit? Ups, keine gute Idee!!! Ozonloch
und Klimaerwärmung lassen grüßen und denke man nur wie vieler Leiharbeiter, die
auf den Bohrinseln und in den Raffinerien arbeiten. Geschweige denn in den
Autofirmen.
Am Vormittag muss man höllisch aufpassen, dass man als Mann
nicht in die Sexismusfalle tappt und als Frau nicht in die Emanzenschiene
rutscht.
Mittagessen. Puh, zum Glück ein halber Tag geschafft.
Fleisch essen geht gar nicht, Gemüse ist verseucht, gespritzt
und hat lange Wege hinter sich (ihr wisst schon Ozonloch und Klimaerwärmung).
Außerdem arbeiten auf dem Großmarkt Leiharbeiter. Na gut, bleibt die gute alte deutsche
Kartoffel, hups, Feldarbeiter arbeiten zu Dumpinglöhnen, fällt auch aus. Lenkt
Bessermensch sich mal ein bisschen mit meinem I-Pad ab. Ach ne, Leiharbeiter
bei Apple.
Ok, einmal muss es doch sein. Schließlich muss man sich von
den anderen abheben.
Bessermensch postet bei Facebook, welch guter Mensch er doch
heute schon war (bis auf die kleinen Sünden mit dem Kaffee und dem Auto und dem
IPhone und so). Bessermensch stellt damit klar, dass er ein besserer Mensch,
ja, man kann, schon sagen: ein richtigerer Mensch ist als der andere Mensch.
Am Nachmittag heißt es auch für Bessermensch: Hausarbeit. Außer
Wäschewaschen, das geht leider nicht. Man denke an den Strom und Wasserverbrauch.
Außerdem geht Waschmittel benutzen gar nicht, weil Leiharbeiter in der Waschmittelfirma.
Hat der Bessermensch den Tag geschafft: Bloß nicht vor den Fernseher
setzen. Da wird man verblödet. Eh nur Politiker die Lügen erzählen. Hm naja ok,
dann eben früh ins Bett.
Wecker stellen nicht vergessen. Ach ja und Anti-Babypille
nehmen. Oh nein, geht leider auch nicht. Der Papst hat gesagt, dass es eine
Sünde ist.
Ach ja und außerdem kommen die meisten Medikamente von Bayer
Healthcare, die sind Umweltsünder und beschäftigen sehr viele Leiharbeiter.
Ok fällt Zähneputzen auch aus und Nachtcreme sowieso.
Entweder Unilever oder Procter&Gamble: Leiharbeiter.
Schnappatmung ... tja Pech gehabt … Asthmaspray, ebenfalls
von Bayer.
Schnell Decke über den Kopf und von einer heilen Welt
geträumt: Geht nicht, die Synthetikfaser der Bettwäsche: ebenfalls von Bayer.
So stelle ich mir das Leben eines Bessermensch vor. Ich
finde es heuchlerisch, aufzeigen zu wollen, dass man etwas besser oder richtiger
macht als der andere.
Denn solange sich „da oben“ nix tut. Können wir eigentlich gar
nichts richtig oder richtiger machen.
Ich finde jeder sollte tun was er kann. Ich glaube auch, dass
die Meisten das im Stillen sowieso tun OHNE es an die große Glocke zu hängen.
Oh noch etwas: Ich schreibe Bücher, viele davon, ja ein
Großteil sogar verkaufen sich über Amazon. Was mache ich nun? Was denkt ihr
darüber?
Danke für Eure Kommentare
Eure
Michaela Röder
P.S.: Mein Mann ist Chemielaborant von Beruf. Als 2005 seine
Firma (Dynamit Nobel) viele Mitarbeiter entließ, war er einer davon. Uns ging
es finanziell nicht immer gut. Mein Mann arbeitete seitdem bis 2011 als Leiharbeiter
u.a. bei Shell, Henkel, Bayer, Thywissen und Lanxess wo er dann fest übernommen
wurde. Hätte mein Mann zu der Zeit Arbeitslosengeld bezogen, hätte er (nur
wegen der Schichtzuschläge) 100 Euro weniger auf dem Konto gehabt und das ohne Schufterei. Trotzdem, kann ich (wenn ehrlich zu Euch und mir selber bin) nicht guten Gewissens behaupten, dass ich alle Firmen boykottieren kann, die ihre Mitarbeiter ausbeuten.