Freitag, 18. April 2014

Das Kind im Manne


Ich bin mal wieder unterwegs. Mal sehen, ob ihr erraten könnt, wo ich diesmal gewesen bin.

Es gibt ein Land, da ist man in der einen Minute noch in Chinatown, in zehn Minuten kann man Mexico City erreichen und fünf Minuten später betritt man Afrika. In diesem Land verwandeln sich Männer regelmäßig zurück in einen Jungen.

Na? Wo bin ich? Genau: im Phantasialand.

Ein Freizeitpark. Ich erwarte mir nicht viel in Richtung Beobachtungen, was Männer, Frauen und die Liebe betrifft.

Die meisten sind mit ihren Kindern hier und rasen von einer Attraktion zur nächsten.

Wir sind mit einer Gruppe da. Die Kinder und Männer freuen sich auf "Höher, Schneller, Weiter". Die Frauen auf Kaffee, die Lichtshow am Wellenflug und das Lichtermeer mit Feuerwerk am Abend.

Den ganzen Tag läuft auch alles glatt. Mein Mann und ich verstehen und erstaunlich gut. Sonst ist die Stimmung im Freizeitpark immer eher, nennen wir es: unentspannt. Ich warte sozusagen schon, wann das innere Kind meines Mannes die Macht übernimmt und meine Nerven strapazieren wird.

Ja, das passiert auch einem Beziehungscoach. Man kann gewisse Dinge eben doch nicht ändern.

Ich lasse mich sogar zu einer Mäusejagd hinreißen. Eine tolle Attraktion. Man setzt sich schiefe 3D-Brillen auf und dann geht’s los. Ein Waggon fährt vor riesige Video-Spielwände  und dann muss man gegen seinen Mitfahrer spielen.
Dazu wirft man aus riesigen Kanonen, mit virtuellen Schokobällen Mäuse ab. Der Punktestand wird im Waggon angezeigt.
Ich gewinne haushoch. Mit 80.000 Punkten Vorsprung. Mein Mann ist auf einmal still. 
Die herzerfrischende Begeisterung ist einer gewissen Nachdenklichkeit gewichen.
Ich glaube, das war der Moment, als er den Widerstand gegen das innere Kind aufgab und sich übermannen ließ. Im gegenteiligen Sinne des Wortes.

Es begann damit,dass er sich von der Idee unbedingt ins 4D-Kino zu gehen, nicht abbringen ließ. Obwohl wir die verrückten Lichter sehen wollten.
Die verrückten Lichter sind eine tolle Sache. Zu einer merkwürdigen Musik, wie man sie aus alten Hollywoodfilmen kennt, werden Häuser abwechselnd angestrahlt. Das wirkt irgendwie unheimlich, ist aber schön.
Zum Glück ging das Kino nur 15 Minuten und wir waren früh genug raus.
Dann hieß es warten auf das Feuerwerk.

Mein Mann wollte noch schnell, den Kindern zuliebe (versteht sich von selbst), einmal auf die Achterbahn in Afrika.

Ich stand mit meinem Kaffee am verabredeten Platz und wartete und wartete und wartete. Niemand kam. 

Nicht zum Lichtermeer und nicht zum Feuerwerk.
Denn irgendwo zwischen Alt-Berlin und Afrika hat die Verwandlung stattgefunden, die immer in Freizeitparks mit Männern passiert.

Sie können nicht mehr an sich halten und verwandeln sich, wie einst Hulk in ein Monster, in ein nimmersattes, nicht zu bremsendes Kind.

Aus einer Achterbahnfahrt waren unzählige Fahrten geworden.
Der sichtbare Schreck, der ihm durch die Glieder fuhr, als ich ihn zum Parkschluss an der Achterbahn abholte, verwandelte ihn zurück in den erwachsenen Mann, mit dem ich verheiratet bin.

Seine Erklärung: „Sorry, die Kinder wollten, und wollten nicht aufhören.“

Ich habe nie etwas anderes angenommen.


Michaela Röder

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